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THE SECT

Den folgenden Artikel über wahrscheinlich DIE Lieblingsband schrieb mein Freund Bernd "Barny" Schmidt für die erste Ausgabe meines Fanzines "Stuttgarter Scheißhaus-Journal", das im Dezember 2000 das Licht der Welt erblickte. Viel Spaß...

Als mich Herr Kuttner darüber in Kenntnis setzte, dass er wieder ein Fanzine starten werde, habe ich spontan zugesagt meinen Mist dazu beizusteuern. Eigentlich sollte es ja nicht in etwas so profanes, wie einen Band-Bericht ausarten, aber da es sich um eine der Lieblingsbands unseres geschätzten Herausgebers handelt, konnte ich diesen Themenwunsch schlecht ausschlagen. Sein Hintergedanke war wohl, dass er glaubte einen kompetenten Autor mit super Insider-Infos engagiert zu haben, weil Luzie Penck und ich im Jahr 1990 mit diesen Jungs aus Birmingham eine Deutschlandtour veranstaltet hatten. Ich hoffe für euch, dass er recht behält, denn leider ist mein Name nicht "Mr. Superhirn" (sondern eher "Mr. Siebhirn"), was heißt, dass die Sache schon 10 Jahre her ist und ich inzwischen sicherlich etliche Details nicht mehr präsent habe - und Luzie Penck sorgt für gewöhnlich auch eher für Verwechslungen und Chaos, als für fundierte Fakten. Da hilft nur Brainstorming, sprich in der Birne eine größtmögliche Datenmenge reaktivieren - und das geht so: erstmal muss dem eingetrockneten Kopf sehr viel Flüssigkeit zugeführt werden - und zwar von innen wie auch von außen - das macht die Synapsen wieder geschmeidig. Ich bewerkstellige dies, indem ich eine Flasche Shampoo trinke und mir zwei Gläser Bier über die Haare kippe. Anschließend werden die so wieder zum Leben erweckten Denkkammern mit Schalldruckwellen massiert, indem ich den Song "Summer Girl" mit der Lautstärke von einer, wenn nicht gar von zweien, abstürzenden Concordes in meine Gehörgänge blase. Dazu eine Prise Wohnzimmerpogo mit Deckenkontakt, Mann, wusste gar nicht mehr, dass diese Band soo gut war, da kommt der Kreislauf wieder in Schwung und die Erinnerungen kehren wieder zurück - beinahe so als wär's gestern gewesen:

THE SECT wurden ca. 1983 von den Powell-Brüdern in Birmingham gegründet. Sie schwammen vom Beginn ihrer Existenz an gegen den Strom, denn sie starteten mit "Punkrock" zu einer Zeit in der diese Musikrichtung (zumindest in England) soeben ihre letzten Zuckungen verlebte. Die meisten originalen 77er-Bands hatten schon längst den Löffel abgegeben und die Tage der wenigen verbliebenen Ur-Bands (wie z.B. "Lurkers" oder "The Clash") waren ebenfalls schon gezählt. "Hardcore" (wenigstens das, als was man diesen Begriff damals verkaufte) war das neue Ding. Bands wie "Discharge", "Exploited" und "Broken Bones" bestimmten die Szenerie und kein Mensch wollte mehr "den alten Käse" vom letzten Jahrzehnt hören. All die raren Scheiben für die bestimmte total durchgeknallte Sammler heutzutage dreistellige Dollar-Beträge hinblättern (ich nenne jetzt keine Namen), gab es damals für einen Apfel und ein Ei in Englands Second Hand Läden.

Unter diesen Umständen dauerte es seine Zeit, bis erste Auftritte für THE SECT zustande kamen und es sollte noch länger dauern, ehe eine erste Schallplatte das Licht der Welt erblicken durfte, denn an einen Deal mit einem Label war überhaupt nicht zu denken. Eine Verbesserung der Situation trat mit fortlaufender Zeit leider nicht ein, eher das Gegenteil war der Fall. Mitte der 80er wurde Europa zusätzlich von einer Invasion amerikanischer HC-Bands heimgesucht (SNFU, MINOR THREAT, FUGAZI, etc.) hinzu kamen Eigengewächse aus der Crust- und Anarcho-Ecke. Die Schlagworte "schneller", "lauter" und "härter" waren der Maßstab, außerdem hatten die Texte einem gewissen politischen Anspruch zu genügen. Punkrock - noch dazu mit Melodie - war so ungefähr das Allerletzte was in jenen Tagen des Jahres 1986 interessierte. Wie es oft der Fall ist, wenn sich absolut kein Arsch für eine junge Band begeistert, dann gründen die Musiker eben ihre eigene Plattenfirma.

So geschah es auch mit THE SECT, die ihr Label "Insect Records" benannten, was einer leichten Abwandlung des Namens ihres hauseigenen Fanzines "Insecticide" gleichkam, welches sie seit mehreren Jahren regelmäßig unregelmäßig herausgaben. Bei ihrem Vinyl-Debüt handelte es sich um eine Single mit den beiden Songs "A Free England" c/w (das heißt übrigens "coupled with") "Never Go". Auf dieser Scheibe verkauft sich die Band noch etwas unter Wert, denn weder die Songs, noch die Aufnahmequalität weisen den Standart auf, den die zukünftigen Veröffentlichungen haben sollten. Nichtsdestotrotz war ein erster Schritt getan und man hatte dem damals vorherrschenden Zeitgeist mit einer selbstproduzierten Veröffentlichung getrotzt. Diese Aktion steigerte den Bekanntheitsgrad der Band und verhalf zu Konzerten auch außerhalb Birminghams. So wurde die nicht gerade kleine Plattenfirma "Razor" auf THE SECT aufmerksam. Dieses Label genoss einen guten Ruf, waren dort in der Vergangenheit doch Bands wie z.B. "Cock Sparrer", "ADICTS", oder "RED LONDON" unter Vertrag. Es finanzierte für "The Sect" die Studiokosten zu einer LP, welche im Jahr 1987 mit dem Titel "Voice Of Reason" auf den Markt kam. Leider aber waren die besten Tage des Labels bereits gezählt, was heißt, dass dieses Projekt nur noch halbherzig angegangen wurde. Wenig Promotion-Arbeit, ein schlechter Vertrieb und schleppende Verkäufe waren die Folge.

Dennoch stieg der Bekanntheitsgrad der Band kontinuierlich und es gelang rasch bei einem anderen Label unterzukommen. Schon ein Jahr darauf erschien auf "Released Emotions" eine Split-LP mit dem Titel "Soft Lights and Loud Guitars", die sie sich mit der Süd-Englischen Combo "Red Letter Day" teilten. Letztere schrieben ebenfalls sehr melodische Songs, so dass sich beide Bands perfekt ergänzten. Dies war jedoch nicht der alleinige Grund, weshalb diese Platte wie eine Bombe einschlug. Hauptverantwortlich war sicherlich die Tatsache, dass sie zu einem sehr guten Moment erschien - die Zeit war reif für einen Kontrastpunkt zum Geknüppele und Gelärme, welches in den letzten 5 Jahren vorgeherrscht hatte. Aus heutiger Sicht betrachtet war es das Bindeglied zwischen altem 77er-Punkrock a la "Buzzcocks"/"Stiff Little Fingers" und 90er-Jahre Pop-Punk wie "Identity"/"Skimmer"/"Wat Tyler"/"Toast", etc. Mit Sicherheit haben THE SECT die gesamte Britische Melody-Punk-Szene des kommenden Jahrzehnts beeinflusst, vielleicht sogar auch ausländische wie "Green Day" und "Millencollin", um nur die Bekanntesten zu nennen. Dennoch blieb THE SECT der große Erfolg verwehrt, denn es ist selten gut, als Erster etwas Neues zu machen und einen Trend zu setzten. Man wird posthum zwar zum "Kult" erklärt, zu Lebzeiten nützt einem dies aber herzlich wenig.

In den Jahren 1989 und 1990 folgten zwei 12"-E.P.s auf dem damals noch jungen Londoner Label "Damaged Goods", nämlich "Summer Girl" und "Remembering", sowie eine weitere 12" bei "Combat Rock", dem französischen Hauslabel von "P.K.R.K.". Der Titel dieser Scheibe lautete "Playing with Fire". Es handelte sich dabei durchweg um sehr gute Veröffentlichungen, aber wie schon zuvor bemerkt, blieb der große Erfolg aus. Vielleicht lag es am ungewöhnlichen 12"-Format, oder am ziemlich unprofessionellen Management (sofern man überhaupt von diesem Begriff sprechen darf). Aber wahrscheinlich waren es gerade jene Faktoren, die diese Band so sympathisch machten. Ich habe, wie zu Beginn bereits erwähnt, im Jahre 1990 eine Deutschland-Tour für THE SECT (übrigens zusammen mit den "Wombels") organisiert und war mit ihnen zwei Wochen lang unterwegs - und ich muss sagen, dass ich selten in meinem Leben mehr Spass hatte. Einen ausführlichen Tour-Bericht gibt's in einer damaligen (zeitgenössischen) Ausgabe des "Scumfuck Tradition"-Fanzines zu lesen, welches zu jener Zeit das führende Zine in Deutschland war.


Noch weit weg von Berührungspunkten zur rechten Szene. (Wenn es heute noch immer so gut wäre, wie es damals war, dann würde es immer noch das beste Fanzine im Lande sein, denn irgendwie haben all diese sterilen 200-seitigen A4-Voll-Farb-Hochglanz-mit-Frei-CD-Magazine keine Seele. Zudem haben die Schreiberlinge ihre ehrliche Meinung schon längst an die inserierenden Plattenlabels/Vertriebe/Läden/etc. verkauft. Es handelt sich dabei um die genau gleichen Mechanismen, wie sie im richtigen Musikbusiness vorherrschen, nur eben mit verkleinertem Etat).

Doch zurück zu THE SECT: im Jahr 1991 wurden fünf weitere Songs im Studio aufgenommen und es folgte noch eine zweite Deutschland-Tour, in dessen Verlauf Sänger Kevin mit der Tour-Managerin ein Techtelmechtel anfing. Nach der Rückkehr in die Heimat hing dort der Haussegen erstmal ziemlich schief (seine Freundin ist übrigens die Dame auf dem Cover von "Summer Girl") und sein Privatleben bekam Schlagseite. Inwieweit sich das Ende der Band auf diese Ereignisse zurückführen lässt, kann ich nicht beurteilen. Fakt ist jedenfalls, dass sich THE SECT auflösten und dass posthum drei Songs der letzten Studio-Session auf einer Single beim Stuttgarter Label "Incognito Records" erschienen sind. Das gute Stück war auf 333 Stück limitiert und trug den Titel "This Side Of Summer". Zwei der drei Songs wurden Mitte der 90er-Jahre auf einem CD-Sampler namens "Up & Down" nochmals wiederveröffentlicht.

Von der Band selbst aber gab es bis heute kein neues Lebenszeichen mehr. Weitere musikalische Aktivitäten ehemaliger Bandmitglieder sind lediglich vom Sänger Kevin bekannt, der bis heute bei "Skimmer" aktiv ist. Dazu gründete Jason, ein Roadie, in den späten Achtzigern parallel zu "The Sect" die Band "Identity", welche sehr von "The Sect" beeinflusst waren, aber dennoch den Melody-Punk weiterentwickelt haben. Irgendwann im ersten Drittel der 90er war aber auch damit Schluss. Es folgte "Fun Bug", die aber nach gutem Start ziemlich schnell sehr seicht wurden. So ein Ende blieb "The Sect" erspart, denn die hatten sich - wenngleich nicht freiwillig - rechtzeitig aufgelöst.


R.I.P..